Authentisch, empathisch, zugewandt
Nach 23 Jahren als Berater für Landwirts-Familien in Krisenzeiten verabschiedet sich Michael Wehinger/Nachfolgerin ist bereits gefunden
Wohl mehr als 1.000 Landwirte und Landwirtinnen und deren Angehörige hat Michael Wehinger in seinen 23 Jahren bei der Landwirtschaftlichen Familienberatung im Katholischen Landvolk begleitet, wenn sie Krisen durchlebten. Darunter sei ein Bauer gewesen, erzählte der 66-Jährige Wehinger am Freitag, den 26. September 2025 bei seiner Abschiedsfeier im Kloster Heiligkreuztal, der sich von ihm Hilfe bei der Suche nach einer neuen Partnerin erhoffte. „Als er mich anrief, stand seine Ehefrau mit gepacktem Koffer auf dem Hof und wartete auf das Taxi.“ Er habe dem Mann geantwortet, diesen Wunsch könne und wolle er ihm nicht erfüllen, er solle seiner Frau jetzt erstmal anständig auf Wiedersehen sagen, dann sehe man weiter.
Wehinger kam zu Familien in Notlagen jeglicher Art – von der ehelichen Beziehungskrise bis zum Erbstreit, von der Depression bis zum übermächtig erscheinenden Schuldenberg. Dabei sei seine Maxime gewesen, keine Ratschläge und Wertungen abzugeben. „Wir Berater sind Anwälte der Ambivalenz, nicht der Eindeutigkeit“, sagte Wehinger; ihm sei es stets darum gegangen, in den Klienten deren Ressourcen zu erschließen, damit sie ihren eigenen Weg im Umgang mit und bestenfalls aus der Krise finden.
Johannes Sauter, Vorsitzender des Verbands Katholisches Landvolk (VKL), und VKL-Geschäftsführer Wolfgang Schleicher beschrieben Wehinger als authentischen und empathischen Kollegen und Berater, der Menschen stets wertschätzend begegnet sei. Diese Einschätzungen wiederholten sich in Videobotschaften und Ansprachen von ehemaligen Klienten, Honorarberatern, Freunden und Kollegen: Immer wieder strichen sie Wehingers lebensfrohe und zugewandte Art heraus. Wehinger sei ein Original, sagte Pfarrer Paul Notz, bis vor kurzem Präses des Katholischen Landvolks, der mit den Gästen der Feier einen Gottesdienst in der Klosterkirche St. Anna beging. Dass Wehinger seinen alemannischen Dialekt konsequent beibehielt, sah Notz als genialen Zug an: „Man muss immer erst innehalten, um zu verstehen, was er meint. Diese Zwangsunterbrechung war für viele Diskussionen sehr hilfreich.“ Das sympathische Beharren auf seinem Dialekt war auch Thema beim anschließenden Fest in der Klostergaststätte, dort bekam Wehinger eine Schachtel Zigaretten geschenkt mit seinem Konterfei auf der Packung und folgendem Spruch: „Ich bin ich, und Du bist Du, wenn ich rede hörst Du zu, wenn Du sprichst, bin ich still, weil ich dich verstehen will.“
Michael Wehinger wechselte in den 1980er Jahren vom Studium der katholischen Theologie zu den Agrarwissenschaften und kam 1991 zum Katholischen Landvolk. Nach acht Jahren als Bildungsreferent zog es ihn wieder nach Afrika, wo er drei Jahre für Misereor in der Sahelzone arbeitete. Eine prägende Zeit, wie er bekannte, die ihm die Augen dafür öffnete, „dass es eine andere Welt, ein anderes Leben“ gibt jenseits von Westeuropa. Einen Turban könne er immer noch binden, verriet der Afrika-Fan.
Zurück aus dem globalen Süden begann Wehinger 2002 als Landwirtschaftlicher Familienberater und spulte auf dem Weg zu seinen Klienten von Oberschwaben bis Hohenlohe und vom Schwarzwald bis zur Ostalb jährlich mehrere zehntausend Kilometer zurück. „Es gibt keinen Feldweg, den du in diesem Gebiet nicht kennst“, sagte Johannes Sauter. Wehinger selbst erzählte von seiner inneren Unruhe, die sich regelmäßig einstellte, wenn mal ein paar Tage niemand um Hilfe bat und das Telefon stumm blieb. „Da plagten mich Selbstzweifel, ob ich es auch richtig mache.“ Aber Arbeit gab es meist genug, zumal Wehinger selbst dafür sorgte: Er hielt unzählige Seminare zum Thema Hofübergabe und begleitete ein Dutzend Fußwallfahrten des VKL, dessen Vorstand er angehörte; er engagierte sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landwirtschaftlichen Familienberatungen und Sorgentelefone (BAG), deren stellvertretender Vorsitzender er war, und knüpfte in dieser Funktion Kontakte zu Berater-Kollegen im europäischen Ausland. Seine letzte große Dienstreise führte ihn in diesem Spätsommer zu Kleinbauern in Uganda.
Unter den rund 80 Gästen seines Abschiedsfests, das Sarah Faris Bibawi und Claudia Götzenberger vom Katholischen Landvolk bestens organisiert hatten, war auch Wehingers Nachfolgerin Carola Lutz. Sie wird die Arbeit – die übrigens für die Klienten kostenlos ist – bruchlos weiterführen. Ihr und allen anderen jungen Beratern gab Wehinger mit auf den Weg: „Es gibt wenige so schöne und so erfüllende Berufe.“
Er verabschiede Michael Wehinger mit Wehmut und in großer Dankbarkeit, sagte VKL-Vorstand Johannes Sauter: „Durch deine Arbeit hast du den Glauben und die Kirche lebendig werden lassen. Danke, dass du so bist, wie du bist.“ Als Abschiedsgeschenk erhielt Wehinger, der in Rottenburg am Neckar lebt und dort einen Mustang im Stall stehen hat, die Teilnahme am nächsten Blutritt in Weingarten.