In vertrauter Umgebung alt werden und gut leben

Tagung am 16. April 2011 in Heiligkreuztal

Verband Katholisches Landvolk (VKL) stellt Beispiele vor, die den demografischen Wandel als Chance begreifen

 „Einen alten Baum verpflanzt man nicht, lautet ein altes Sprichwort. Doch auf die Menschen bezogen ist das gar nicht so einfach“. So leitete der Geschäftsführer des VKL, Wolfgang Schleicher, am vergangenen Samstag in Heiligkreuztal bei Riedlingen die Tagung „Alt werden in vertrauter Umgebung“ ein. Der VKL hatte die Tagung mit acht Mitveranstaltern, darunter die Akademie ländlicher Raum, die LEADER Aktionsgruppe Oberschwaben oder die Hauptabteilung Kirche und Gesellschaft der Diözese Rottenburg-Stuttgart organisiert. Ziel der Veranstaltung war es , innovative Konzepte vorzustellen, zu diskutieren und anzustoßen die dazu führen, dass ältere Menschen in Dörfern und Gemeinden bleiben und dort auch gut leben können. „Bei der Auswahl der Lösungsansätze war es uns wichtig, dass sie übertragbar sind und es Ansprechpartner gibt, die in der Startphase helfen können“, erläutert Wolfgang Schleicher die Idee.
Insbesondere im ländlichen Raum sei der demografische Wandel stark zu spüren, denn es fehle oft an Arbeitsplätzen oder Infrastruktur. Das sei aber nur die eine Seite,  erläuterte der Leiter der Hauptabteilung Kirche und Gesellschaft, Dr. Joachim Drumm, in seinem Vortrag. Insbesondere im ländlichen Raum gebe es aber auch einen enormen Aufbruch und zwar dort, wo die Menschen die Gegebenheiten nicht wie ein Schicksal annähmen, sondern aktiv würden.“Es ist höchste Zeit, interdisziplinär und übergreifend aktiv zu werden“, so Dr. Drumm.

Laut einer Umfrage wollen zwei Drittel der Menschen ab 70 in einer ganz normalen Wohnung oder in einem ganz normalen Haus leben, erläuterte die Altenhilfeexpertin aus Köln, Ursula Kremer-Preiß die Ausgangssituation. Dabei seien rund die Hälfte der Befragten bereit, dafür auch externe Hilfe in Anspruch zu nehmen „Das geht aber nur, wenn wir Eigeninitiative und gegenseitige Hilfe stärken“, so die Expertin. Ein gutes Beispiel dafür ist das Dorf Eichstetten am Kaiserstuhl. Dort hat ein Arbeitskreis unter dem Leitmotto: „Wie menschlich eine Gesellschaft ist, zeigt sich am Umgang mit den Schwächsten“, ein Konzept entwickelt, welches es ermöglicht, dass Alt und Jung gemeinsam im Dorf gut leben können. Bürgerbeteiligung sei dabei die wichtigste Voraussetzung für das Funktionieren des Projektes, ist Gerhard Kiechle, Bürgermeister a.D. der Gemeinde Eichstetten überzeugt. „Das Dorf übernimmt den Generationenvertrag. Diesen Vorsatz haben wir zur nationalen Aufgabe des Dorfes gemacht“, sagte Kiechle wörtlich. In Eichstetten gibt es Wohngruppen für ältere Menschen mit Gemeinschaftsräumen und gemeinsamer Küche. Sogar eine Wohngruppe für demente Menschen ist eigeninitiativ entstanden. In diesen Wohngruppen bringen die Bewohner all das, was sie noch können und wollen ein, und bekommen so viel externe Hilfe, wie nötig. Mittlerweile sind daraus auch attraktive Arbeitsplätze vor Ort entstanden, sowohl in der Betreuung der Menschen als auch in der Organisation. Auch die dörfliche Sozialkultur habe sich deutlich verbessert. Um die Bürger aktiv zu beteiligen, sei eine klare Struktur und Organisation notwendig. „Die Qualität der Arbeit war von vorneherein zentrales Thema, sonst hätte das nicht funktioniert“, ist Kiechle überzeugt.

Solche und andere Initiativen vor Ort anzustoßen und zu unterstützen betrachtet der Verein SPES-Zukunftsmodelle  als seine Aufgabe. „Je mehr Strukturen es vor Ort gibt, wie Bank, Post oder Einkaufsläden, um so höher die Lebensqualität dort“ sagt die SES-Vorsitzende Ingrid Engelhart. Und dafür biete SPES Ideen und Unterstützung bei deren Umsetzung. Das können Konzept sein, wie in Eichstetten, oder die Organisation einer Pflegeeinrichtung von Haus zu Haus. Es kann aber auch die Einrichtung einer sogenannten Zeitbank 55+ sein. Sie dient dazu, sich gegenseitig innerhalb einer klaren Struktur im Alltag zu unterstützen. Damit können Menschen ihr Talente und Fähigkeiten auch im Alter entfalten, Zeitguthaben für einen späteren Bedarf ansparen und mit einem guten Gefühl Nachbarschaftshilfe in Anspruch nehmen. „Wenn Lisa beispielsweise für Hans bügelt, kann Hans für Walter den Rasen mähen. Walter kann wiederum für Lisa Brennholz schneiden“, so Ingrid Engelhart. Verrechnet werde diese Zeit über eine Zeitbankkonto, dass zentral geführt wird. Gemeinden, die sich dafür interessierten bekommen Hilfe für die Einrichtung und Materialien, wie Zeitschecks. Der VKL hat im vergangenen Jahr einen Kooperationsvertrag geschlossen, um die Arbeit in den innovativen Projekte und zu fördern.

Um Familien in schwierigen Situationen zu entlasten, entstand in Gaienhofen am Bodensee das Nachbarschaftshilfe-Modell „Hilfe von Haus zu Haus“. Deren Initiatorin Maria Hensler sagte: „Wenn wir den demografischen Wandel nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung sehen, bieten sich echte Zukunftschancen“. Mittlerweile sind daraus 15 Hilfevereine geworden, in denen zahlreiche sichere Arbeitsplätze - insbesondere für Frauen – entstanden sind. Und einen weiteren positiven Effekt nennt Maria Hensler: „Menschen, die neu zuziehen können sich sinnvoll einbringen und sich so von vorneherein gut integrieren“. Auch die engagierte Landfrauenvorsitzende betonte, wie wichtig, Klarheit, gute Organisation und Qualität für das Funktionieren eines solchen Projektes seien.

Ein Beispiel aus dem Salzburger Raum präsentierte Dr. Anita Moser. Über das Salzburger Bildungswerk betreut sie Gemeinden bei der Einführung von Modellen, um dem demografischen Wandel zu begegnen. „Wir müssen das Ehrenamt neu definieren“, erläutert die Expertin. Wichtig sei dass die Arbeit zeitlich begrenzt, klar strukturiert und beispielsweise für Jugendliche mit einem Sozialausweis honoriert werde. Mit klaren Rahmenbedingungen sie vieles möglich, so die Expertin, die zahlreiche Projekte begleitet, wie zum Beispiel innovative Wohnkonzepte, Projekte zur gegenseitigen Unterstützung von Jung und alt oder die Schulung und Begleitung von Sozialbeauftragten in den Dörfern, die als Ansprechpartner für alle sozialen Belange dienen, 

Den Abschluss der Präsentationsreihe bildetet die Vorstellung eines Seniorennetzwerkes, dass Sozialpädagogin Barbara Thon in ihrer Kirchengemeinde Birkenfeld angestoßen hat. Es sei wichtig, einfach mal anzufangen, die Menschen anzusprechen und so Steine ins Rollen zu bringen, sagte Frau Thon. Die meisten älteren Menschen seien ja nicht pflegebedürftig, sondern verfügten über ein großes Potenzial zur gegenseitigen Unterstützung. „Wir sollten den Mut aufbringen, sie anzusprechen und einzubinden“ so die engagierte Frau.

Mit diesem Strauß an Ideen und Anregungen verabschiedete der Geschäftsführer des VKL, Wolfgang Schleicher die Teilnehmer: mit der Aufforderung: „Was für Sie wichtig ist, packen Sie an!“